25 Jahre Wave-Gotik-Treffen
Das schwarze Familientreffen begeht silbernes Jubiläum
16.05.2016 [sh] Trotz aller Widerstände entwickelte sich das im Jahre 1992 initiierte Wave-Gotik-Treffen zu einem der größten Familientreffen der schwarzen Szene. Der Event ist gewachsen, hatte Höhen, wie auch Tiefen, machte sich weit über Landes- und Kontinent Grenzen einen Namen und ist ein fester Bestandteil des jährlichen Festivalkalenders. Die einstige Skepsis der Leipziger wich der Neugier. Aus Akzeptanz wurde über die Jahre ein großartiges Miteinander. Nicht nur, dass sich die Einheimischen gern unter das schwarze Volk mischen, genießen und staunen, so gibt es auch viele Leipziger die Übernachtungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Der Veranstalter investiert Jahr um Jahr viel Herzblut, aber auch die Stadt bringt sich mehr und mehr in die Gestaltung der schwarzen Pfingsttage mit ein.
So wartete auf die diesjährig rund 23.000 Besucher nicht nur ein breitgefächertes musikalisches Angebot, sondern auch ein vielschichtiges kulturelles Programm. Nahezu alle Leipziger Theater und Museen beteiligten sich und hielten besondere Veranstaltungen speziell für Festivalbesucher bereit. Das von der Leipziger Oper zur Verfügung gestellte limitierte Platzkontingent fand großes Interesse und die Lesungen verschiedener Autoren waren sehr gut besucht. Zudem bewiesen die Stars und Sternchen der Gothicszene ihre Fannähe bei den immer gut besuchten Autogrammstunden.
Als Jubiläumsauftakt und Geburtstagsschmankerl wurde am Donnerstagabend der ganze Belantis Freizeitpark in elegantes und mondänes schwarz gehüllt. Neben der Nutzung der regulären Fahrgeschäfte unterhielten DJ’s die Festivalbesucher. Der Zuspruch der Festivalgäste war so stark, dass eingesetzte Shuttle-Busse kaum der Besucherflut Herr wurden und sich zudem lange Schlangen an den Attraktionen sowie Schmaus- und Saufbuden bildeten. Aber nichtsdestotrotz wandelte man auf den Pfaden und genoss das imposante Feuerwerk, welches den Park in bunt-schillernde Farben und eine romantische Atmosphäre tauchte. Im Vorfeld heiß diskutiert, für die Veranstalter ein Experiment, aber letztendlich für die Besucher eine tolles Erlebnis und ein Gefühl das Kind tief im Inneren freilassen zu dürfen. Statt der erwarteten ca. 6.000 Leuten feierten und tanzten gut 10.000 Menschen bis in die frühen Morgenstunden.
Die Flaniermeile vor den Agra Hallen lud trotz des teils unbeständigen Wetters zum Sehen und Gesehen werden ein. Es ist faszinierend anzusehen, mit welcher Mühe und Detailreichtum Gewänder und Make-Up hergestellt wurden. Nicht nur viele Fotografen tummelten sich dort, auch viele „normale“ Besucher saßen unter den Bäumen und genossen das bunte Treiben. Es gab so unter anderem Viktorianische-, Barock- und Rokoko– Gewänder, Steampunks, Cyber–Goths, Uniformen aber auch erotische, Phantasie- und mittelalterliche Bekleidung zu sehen. Die Mittelalter-Anhänger fanden sich vor allem im heidnischen Dorf am Torhaus Dölitz ein. Dieses war, wie auch in den letzten Jahren, sehr gut besucht und es bildeten sich vor dem Eingang zum Teil lange Schlangen. Auch viele Nichtfestivalbesucher nutzten die Gelegenheit und verschafften sich gegen Abgabe einiger Silberlinge Zugang, um dem Treiben zuzuschauen, die Atmosphäre und vor allem die vielen Bands zu genießen. Schauen, Verweilen und Staunen hieß es auch wieder auf dem etwas anderen Picknick. In aufwändigen viktorianischen Gewändern präsentierten sich die Damen und Herren im Clara-Zetkin-Park und zogen nicht nur die unzähligen Szenefotografen, sondern auch interessierte Einheimische an.
Seit Anfang März widmete das Stadtgeschichtliche Museum dem WGT aus Anlass des Jubiläums eine Ausstellung, die mehr als 25 Jahre Revue passieren zu lassen und die Szene, wie auch ihre Geschichte vorstellen. Ihre Menschen, deren Moden, Musik und Stile luden bzw. laden noch bis zum 24. Juli zu einer kleinen Reise in die Vergangenheit ein. Besucher und Organisatoren berichteten von ihren Erfahrungen und Erlebnissen, von Enttäuschungen und Glücksmomenten. Was bedeutet das „Goth“-Sein? Wie setzten sich die Kinder der Nacht mit Fragen unserer Gegenwart, mit Leben, Tod, Krieg und Religion auseinander? Was bedeutete es für jeden einzelnen der Anwesenden? Die Faszination Wave-Gotik-Treffen – offen, lebensfroh, friedlich, aber auch provokant und manchmal sogar verstörend, aber in jedem Fall kreativ.
Ob interessante Nachwuchsband, Szene-Urgesteine oder allzeit bekannte Headliner. Die Veranstalter hatten wieder einmal einen bunten Strauß an musikalischer Unterhaltung gebunden. So schleuderte Chris L. mit neuem Bandprojekt The Sexorcist den Kohlrabizirkusgängern eine massive elektronische Dröhnung um die Ohren, während Solar Fake mit einfühlsamen Texten punktete und die Damenwelt mit samtweicher Stimme betörte. Die Hamburger Darkrocker Lord of the Lost und die international aufgestellten Darkhaus ließen nicht nur die Herzen der holden Weiblichkeit schneller schlagen, sondern brachten mit ihrer mitreißenden Show auch die Agra-Veranstaltungshalle zum Beben. Auch Legends Frontmann Krummi Björgvinsson war ein echter Augenschmaus. Mit charismatischer Ausstrahlung und überzeugender Performance ihres isländischen Electronic-Pop gewannen sie so manch neuen Fan. Vielmals galt es vor dem Musikgenuss lange Besucherschlangen hinter sich zu lassen. So auch bei der deutschsprachigen Minimal-Electropop Band Welle:Erdball. Sie überzeugten mit ihrer gut durchdachten Bühnenshow, die wie immer verschiedene Gimmicks für das Publikum bereithielt.
Harte Töne schlugen unter anderem Leaves Eyes oder Korpiklaani an. Während die Finnen kräftig in die Saiten griffen, wurden die Gehörgänge der Anwesenden durchgepustet, das Haupthaar geschwungen und die Nackenmuskulatur bis aufs Äußerste strapaziert. Mit jeder Menge Spaß, Euphorie und einer gehörigen Portion Folk überzeugte das Bremer Septett Versengold. Getreu ihren Zeilen „So feier ich wann mir beliebt, wann immer sich ein Grund ergiebt. Und hat die Sorge mich im Bann, dann stimme ich ein Liedchen an und will die Schwermut mich besiegen, tanz ich, dass die Beine fliegen“ brachten sie das Infield des heidnischen Dorfes zum Feiern, Tanzen, Singen und gemeinsam die Krüge heben. Einst schrieben Bauhaus Geschichte und zogen in den Szene-Olymp ein. Zum Jubiläum füllte Mitbegründer und Frontmann
Peter Murphy die Agra, hauchte den legendären Hits wieder Leben ein und versetzte die Fotografen in Verzückung. An manchen Veranstaltungsstätten wurden immer wieder die Kapazitätsgrenzen erreicht. Aufgrund der Masse an Einlasssuchenden mussten aus Sicherheitsgründen Einlassstopps verhängt werden. So geschehen auch bei den einstigen Wave Göttern Pink Turns Blue. Das Landratsamt verwandelte sich in eine Sauna und die Masse feierte ihre Helden, die mit intensiv treibenden Post Punk die dritte Reunion feierte.
Viel zu schnell vergingen die Tage. Wieder schafften es die Veranstalter, das Pfingstwochenende zu einem einmaligen, vielfältigen und vor allem friedlichen Familientreffen zu verwandeln. Unzählige Kilometer wurden zurückgelegt, Speicherkarten gefüllt, interessante Ausstellungen besichtigt, Musik verschiedener Genre fanden Gehör und so manch Band gewann neue Fans. Kleiderschränke wurden gefüllt, Geldkarten strapaziert, Emotionen gelebt, Gefühle gezeigt. Es wurde gemeinsam gefeiert, getanzt, geredet. Freunde aus nah und fern trafen sich, neue Freundschaften wurden geschlossen und die gegenseitige Toleranz der Leipziger und ihrer Besucher waren wieder einmal überwältigend. Ein ganz großer Dank an die Veranstalter, die Crew, die Security und die vielen helfenden Hände, die diesem Festival Jahr für Jahr Leben einhauchen.